Ich muss mal wieder raus aus Berlin! Um dem Moloch zu entkommen, bedarf es keiner langen Flugreise – an diesem letzten Tag im Juni mache ich mit meiner Freundin Heike eine Potsdamer Havelseenrundfahrt. Eine Regionalbahn bringt uns in 20 Minuten vom Bahnhof Zoo nach Potsdam Hauptbahnhof. Von dort gehen wir ein kurzes Stück zu Fuß zum Hafen, könnten aber auch zwei Stationen mit der Tram fahren.
Eigentlich ist unser Plan eine große Inselrundfahrt, die vier Stunden dauern und 21 Euro kosten soll. Als ich am Tickethäuschen von Schifffahrt Potsdam nachfrage, ob wir unterwegs an Land gehen und dann auf den nächsten Dampfer warten können, klärt uns die Verkäuferin auf, dass das nicht möglich sei. Sie empfiehlt uns die Potsdamer Havelseenrundfahrt – eine nahezu identische Route für 18 Euro.
Potsdamer Havelseenrundfahrt mit Stopps
Wir haben Glück, denn bis zur Abfahrt sind es knapp zehn Minuten. An so einem sonnigen Sommertag mit tiefblauem Himmel ist das Schiff gut besucht – von einem eher älteren Publikum – trotzdem ergattern wir noch eine freie Bank auf dem Oberdeck. Über Lautsprecher ertönt die Ansage, dass man dort oben bei Brücken-Unterquerungen höllisch aufpassen sollte. Zwischen den Köpfen und den Potsdamer Brücken sind nur wenige Zentimeter Platz!
Wir schippern eine Weile durch das Herz von Potsdam – vorbei an Plattenbauten, Luxus-Apartments mit Havelblick, dem Yachthafen, der Insel Hermannswerder und riesigen Seerosen-Teppichen. Ich fühle mich schon viel, viel entspannter und Heike meint: „Hier brauchst du kein autogenes Training.“ Vorher habe ich ihr erzählt, dass ich Berlin nur noch mit täglichem autogenem Training und Meditationen ertrage – und häufigen Reisen und Ausflügen.
Die Ballermann-Touristen, die nur wegen Party, Clubs und F***en in die Hauptstadt kommen, scheinen nicht zu wissen, wie schön das Umland ist. Oder dass es so viel Wasser gibt, dass man nicht unbedingt ans Meer zu fahren braucht. Die Havel mündet in den Templiner See, am Ufer wächst dichter Laubwald, aus dessen Blättern Bilderbuchhäuser mit Bootsgrundstücken hervorlugen. Meine dunkle Berliner Hinterhausbude würde ich sofort dagegen eintauschen!
Einsteins Sommersitz Caputh
Der erste Stopp der Potsdamer Havelseenrundfahrt ist am Schloss Caputh, das im 16. und 17. Jahrhundert Sommersitz der brandenburgischen Kurfürstinnen war. Wir steigen hier nicht aus, weil wir schon eine Woche zuvor durch das malerische Caputh spaziert sind. In diesem Dorf bei Potsdam hatte Albert Einstein ein Sommerhaus und sein Motto lautete: „Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt.“ Der Spruch dürfte bis heute für Berlin-Flüchtige seine Berechtigung haben. Wassersportler fühlen sich hier anscheinend genauso pudelwohl wie der Begründer der Relativitätstheorie!
Auf dem Caputher Gemünde, einer Engstelle der Havel zwischen dem Templiner See und dem Schwielowsee, verkehrt eine Seilfähre, die Caputh und den Nachbarort Geltow verbindet. Fußgänger zahlen für die Überfahrt nur 50 Cent. Wir lassen auch den zweiten Stopp in Caputh hinter uns und erreichen als nächstes den Schwielowsee. Am Ufer sieht man die luxuriösen weißen Gebäude des Schwielowsee-Resorts und am Himmel tauchen plötzlich weiße Schäfchenwolken auf.
Landgang im Dorf Petzow
Ich genieße die Weite, die gute Luft und das intensive Blau, das uns von allen Seiten umgibt. Hier draußen bin ich an warmen Sommertagen über die Abwesenheit der kroatischen Adria nicht traurig – auch vor der Haustür existieren eine ganze Menge Naturschönheiten. Wie beispielsweise unser Landgang im Dorf Petzow beweist: Das Ausflugsschiff legt an am Schloss, das im 19. Jahrhundert von der wohlhabenden Familie von Kaehne errichtet wurde. Ähnlich betugt sind heute vermutlich die Mieter der Wohnungen in dem gelbem Herrschaftsbau mit Seeblick.
In Petzow komme ich mir vor wie in einem Roman von Theodor Fontane – nach ihm ist sogar ein Restaurant im Dorfkern benannt. Wir bemerken es im Vorbeigehen, während wir die nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel erbaute Dorfkirche ansteuern. Der Turm des schlichten Gotteshauses von 1842 ragt aus den Bäumen hervor.
Für einen Euro steigen wir hinauf und werden mit einer Super-Aussicht auf den Schwielowsee und Werder an der Havel belohnt. Wir haben auch noch einen Moment Zeit, uns eine Fotoausstellung in der relativ schmucklosen Kirche anzuschauen. Dann findet in ihr eine Hochzeit statt und wir lassen uns weiter durch den Park von Petzow treiben.
Obstwein-Paradies Werder / Havel
Um zwölf Uhr am Mittag holt uns der nächste Dampfer wieder am Schloss ab. Wir haben auch schon einen Plan geschmiedet: Wie bereits vor einem Monat wollen wir uns einen Eisbecher im Café Isola Bella in Werder an der Havel gönnen. Die Obstkammer der Mark Brandenburg ist eines meiner Lieblingsziele für Landpartien. Früher bin ich öfters zum Baumblütenfest gepilgert und nicht immer nüchtern zurückgekehrt. Die alte Fischersiedlung Werder ist bekannt für ihre leckeren, süßen Obstweine, bei denen man leicht viel zu spät merkt, dass sie Alkohol enthalten … 😉
Das Schiff ankert in der Nähe des beliebten Fisch-Restaurants Arielle, wo man direkt am Havelufer essen kann. Wir kommen also sofort in der Altstadt von Werder auf einer Havel-Insel an, was viel angenehmer ist als die Anreise mit der Regionalbahn. Ehe man nach der Ankunft am Bahnhof das Zentrum erreicht, muss man erst mal kilometerweit laufen oder den Bus nehmen.
Werder gilt offensichtlich als absolutes Highlight der Potsdamer Havelseenrundfahrt, denn das gut besuchte Schiff leert sich auf einmal ganz fix. Von der Popularität des Ortes wissen übrigens auch die Restaurant-Betreiber, die nahezu überall ordentlich gepfefferte Touri-Preise verlangen.
Die kleine Stadt ist aber auch zu idyllisch: Man kann kilometerweit am Ufer entlang schlendern, Tretboot fahren, segeln oder sich auf der Insel die Bockwindmühle und die neugotische Heilig-Geist-Kirche anschauen. Letztere erblickt man auf dem Schiff schon von Weitem und weil sie den Ort dominiert, verpasste Fontane ihr den Namen „Kleinstadtkathedrale“.
In der Nähe des Marktplatzes entdecken wir eine denkmalgeschützte Event-Location, die von außen betrachtet wie eine brandenburgische Dorfschule wirkt: das Lendelhaus in der historischen Saftfabrik von Werder. Hier stellt ein Maler seine farbenfrohen Bilder aus und in den exklusiven Räumlichkeiten kann man Hochzeiten, Geburtstage und andere Partys schmeißen. Sicherlich nur mit dem nötigen Kleingeld – zu den zufriedenen Kunden zählen Promis wie Ex-Nationalkicker Arne Friedrich. Der Künstler erlaubt uns trotzdem, ein paar Zimmer in Augenschein zu nehmen, bevor wir uns als nächstes auf einen Laden für ausgefallene Schuhe am Marktplatz stürzen.
Potsdamer Havelseenrundfahrt: Fazit
Ehe wir nach dreistündigem Aufenthalt die Rückreise nach Potsdam antreten, genehmigen wir uns in der Bar am Schiffsanleger ein Glas Werder Erdbeerwein. Der Barkeeper ist für zwei Euro pro Glas total großzügig und macht die Weinkelche richtig voll. Leicht angetrunken setzen wir uns in den Windschatten am Heck, betrachten die vorbeiziehende Flusslandschaft und ich denke: „Das Leben ist schön!“
Ein weiterer lohnenswerter Stopp bei der Potsdamer Havelseenrundfahrt ist übrigens das Künstlerdorf Ferch. Da Heike und ich es schon kennen, bleiben wir bis Potsdam an Bord und bummeln da noch ein bisschen durch die Stadt. Unser Fazit des Tages heißt: Warum in die Ferne schweifen. Seht, das Gute liegt so nah! Außerdem ist solch ein Tagesausflug für 18 Euro unschlagbar preiswert. (as)
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Danke liebe Annika, du schreibst so erfrischend und anregend,
deine Fotos sprechen für sich…so freu ich mich nach dem Ausflug auf die
nächste Entdecker Tour ….zusammen macht´s auch viel Spaß !!
Die Eisdiele in Werder mit elegantem Interieur und wildem Garten an der Havel ist übrigens sehr zu empfehlen .
Da gehen wir bald mal wieder hin!
Schön ? Das wäre ja auch was für mich. Ein Ausflug in die Natur, raus aus Berlin und dann auch noch mit dem Schiffchen rumschippern. Merke ich mir mal. 😉 Danke für den Tipp. 🙂
LG Daniela