Warschau: ein Phönix aus der Asche

Schloss von Warschau

Polen mausert sich seit meinem Kurztrip nach Danzig zu einem meiner Lieblingsländer. Die Städte erscheinen mir bunt und kreativ und die Keule der Künstlichkeit hat noch nicht so brutal um sich geschlagen wie in westlicheren Gefilden. Ein Jahr nach dem verregneten Krakau besuche ich die Hauptstadt Warschau.

Für die Anreise ab Berlin gibt es zwei Optionen: einen Eurocity oder einen Flug mit Easyjet. Weil der Berlin-Warszawa-Express über sechs Stunden unterwegs ist und die Fahrkarten kaum günstiger sind, entscheide ich mich für den knapp einstündigen Flug ab Tegel. Asche auf mein Haupt – umweltfreundlich für schlappe 575 Kilometer geht anders! Nichtsdestotrotz habe ich mir für meinen Städtetrip nur drei Tage Zeit genommen und die möchte ich sinnvoll nutzen.



Nahverkehr in Warschau

Am Warschauer Chopin-Flughafen steige ich in den Bus 175, der etwa 40 Minuten bis in die Altstadt braucht. Ich empfehle Dir, sofort am Ticket-Automaten an der Haltestelle eine Fahrkarte für drei Tage zu kaufen. Sie kostet 36 Złoty (rund neun Euro), gilt für alle Busse, Straßenbahnen und die beiden U-Bahn-Linien. Für die Besichtigung der bekanntesten Sehenswürdigkeiten genügt ein Ein-Zonen-Ticket.

Die Warschauer Altstadt

Wieder mal bei Airbnb habe ich ein supergemütliches Apartment in der Altstadt gemietet. Meine Umgebung wirkt wie eine farbenfrohe gute Stube mit einer jahrhundertealten Geschichte. Letzteres ist aber nur Schein: In einer ZDF-Doku wird Warschau als „Friedhof“ bezeichnet. Die Nazis haben das einstige „Paris des Ostens“ dem Erdboden gleichgemacht, 1944 Straßenzug um Straßenzug gesprengt, so dass nach diesen Gräueltaten 85 Prozent des alten Stadtkerns zerstört waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Altstadt bis 1955 weitgehend originalgetreu wiederaufgebaut und am 2. September 1980 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Obwohl der Massentourismus Warschau noch nicht ganz erreicht hat, tummeln sich wohl genau deshalb in den kopfsteingepflasterten Gassen Heerscharen von Asiaten. In den Lokalen rund um den malerischen Marktplatz Rynek locken die Wirte sie mit „original Polish food“ und scharf gepfefferten Preisen.

Rynek von Warschau
Rynek in Warschau, Foto: Reise-Liebe

Währenddessen verkaufen Maler ihre Bilder und auf dem Kopf der Statue einer Meerjungfrau rasten Tauben. Laut einer polnischen Legende schwamm die Lady in der Weichsel Richtung Warschau und betörte die Fischer der Stadt mit ihrem Gesang. Nachdem ein böser Kaufmann sie gefangen genommen hatte, eilten die Fischer ihr zur Hilfe und retteten sie. Aus Dankbarkeit schwor die Meerjungfrau, die Fischer – und damit die Warschauer Bevölkerung – zu beschützen. Seit dem 16. Jahrhundert schmückt sie das Wappen der Stadt.

Warschauer Meerjungfrau
Warschauer Meerjungfrau, Foto: Reise-Liebe

Schloss von Warschau

Die neueste Altstadt der Welt ist ein Gesamtkunstwerk mit dem Warschauer Schloss am Plac Zamkowy als Highlight. Für 25 Złoty kann man es besichtigen, mittwochs ist der Eintritt frei. Auch der ehemalige Sitz der polnischen Könige wirkt wie ein Phönix aus der Asche. Schon 1939 hatten die Nazis das Schloss mit ihren Bomben attackiert und fünf Jahre später völlig vernichtet. Der Wiederaufbau zwischen 1971 und 1988 wurde hauptsächlich durch US-Spendengelder finanziert.

Wandelt man durch die neu hergerichteten Gemächer von König Stanislaus und Co., mag man gar nicht glauben, dass diese prunkvollen Hallen zwischenzeitlich in Schutt und Asche lagen. Glücklicherweise konnten große Teile der Ausstattung vor Hitlers Angriffen in Sicherheit gebracht werden, so dass sie im Original erhalten geblieben sind. Staunen darf man über goldverzierte Wände, wuchtige Kronleuchter, Skulpturen, Holzintarsien, Gemälde und prächtige Möbel. Beim Anblick des Interieurs kann ich den Auslöser meiner Kamera kaum stillhalten. Die Erinnerung an das royale Polen lebt wieder!

Schloss von Warschau
Im Warschauer Schloss, Foto: Reise-Liebe

Pompös ist auch das Innere zahlreicher Kirchen in Warschau. Wie ich vor allem in meinem Krakau-Artikel dokumentiert habe, ist Polen ein erz-katholisches Land, dessen Gotteshäuser mit besonders viel Gold aufwarten – selbst nach einer so flächendeckenden Kriegszerstörung.

Spaziert man vom Schloss Richtung Universität, kommt man nicht nur am Präsidentenpalast, sondern auch an der Heilig-Kreuz-Kirche vorbei. In einer Säule des mächtigen Bauwerks wurde das Herz des Komponisten Frédéric Chopin (1810 – 1849) beigesetzt – eine Gedenktafel erinnert daran. Er ist der wohl berühmteste Warschauer und seine Schwester Ludowika sorgte dafür, dass sein Herz nach seinem Tod in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. Nach der Entnahme in Paris soll es in französischem Cognac gebadet worden sein!

Präsidentenpalast
Präsidentenpalast, Foto: Reise-Liebe

Stalins Kulturpalast

Zu Chopin komme ich später noch zurück – machen wir erst mal einen Sprung zu Josef Stalin (1878 – 1953). Der russische Diktator setzte sich in Warschau ein Denkmal: Der monumentale Kulturpalast im Stil des sozialistischen Klassizismus ist ein Wahrzeichen der Stadt, obwohl er bei Teilen der Bevölkerung wegen der politischen Vergangenheit kein allzu hohes Ansehen genießt.

Kulturpalast Warschau
Kulturpalast, Foto: Reise-Liebe

Zwischen 1952 und 1955 wurde der Wolkenkratzer 237 Meter in die Höhe gezogen. Im höchsten Gebäude Polens sind heute mehrere Theater und Museen untergebracht und auf der Aussichtsplattform hat man ein sensationelles Panorama. Steht man dort oben, sieht man noch deutlicher als am Boden, dass man in einer Stadt des Aufbruchs gelandet ist. Rund um den Kulturpalast sprießen moderne Hochhäuser gen Himmel, unter anderem das Luxus-Wohnhaus Złota 44. Der polnisch-amerikanische Architekt Daniel Libeskind wollte mit dem segelförmigen Gebäude in seiner ehemaligen Heimat Spuren hinterlassen. Ob man den 2016 fertiggestellten Koloss schön findet, sollte jeder selbst entscheiden …

Es würde wohl Tage dauern, durch alle 3.288 Räume im Kulturpalast zu wandern. Ich habe Lust, das zu tun, aber leider sind sie für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Also setze ich mich in die rote U-Bahn-Linie und fahre ans andere Ufer der Weichsel in den Stadtteil Praga.

Warschauer Wolkenkratzer
Wolkenkratzer in Warschau, Foto: Reise-Liebe

Kreatives Praga

Wenn man sich heute fragt, wie es im Berlin der 90er Jahre ausgesehen haben könnte, findet man dort ein paar Antworten. Mitten im Ostblock-Flair entfaltet sich eine kreative Szene, zum Beispiel in der Soho Factory. Von so mancher Fassade leuchtet Street Art, vielerorts machen die Gemäuer noch einen ramponierten Eindruck.

Street Art in Warschau
Street Art in Praga, Foto: Reise-Liebe

Dennoch schlägt in Praga die Gentrifizierung bereits um sich. Anscheinend ist es nur eine Frage der Zeit, bis Warschau das neue Berlin ist – eine Stadt, der es offensichtlich nacheifert. Nach und nach werden Wohnhäuser modernisiert und neben alter Bausubstanz die gleichen kastenförmigen Apartment-Monster hochgezogen wie in der Hauptstadt der internationalen Hipster-Szene. Architektonische Gleichschaltung vom Feinsten!

Ich schaue mich ein bisschen um und stelle fest, dass das Essen in Praga preiswerter ist als in der City. Natürlich stürze ich mich auch bei diesem Polen-Trip wieder auf meine heißgeliebten Piroggen. 😉

Praga, Stadtteil von Warschau
Straße in Praga, Foto: Reise-Liebe

Im Warschauer Ghetto

Meinen zweiten Tag widme ich einem düsteren geschichtlichen Kapitel, dem Warschauer Ghetto. An den Zweiten Weltkrieg, Nazi-Terror und Juden-Vernichtung wird man in Warschau an vielen Häusern und Straßenecken erinnert. Dafür sorgen Denkmäler und Gedenktafeln, allen voran das Denkmal des Warschauer Aufstands.

Denkmal des Warschauer Aufstands
Denkmal des Warschauer Aufstands, Foto: Reise-Liebe

Wenn man nichts von alledem wüsste, könnte man meinen, das einstige Ghetto sei ein ganz gewöhnliches Wohnviertel mit Mietshäusern Marke Eiserner Vorhang. Eine Grenzlinie auf der Straße zeigt Passanten, wo es beginnt – wo Hunderttausende zusammengepfercht und dann in Todeslager wie Auschwitz und Treblinka deportiert wurden. Die Verschleppungen starteten am sogenannten „Umschlagplatz“, jetzt eine weitere Gedenkstätte für die Opfer.

Unweit des Ghetto-Ehrenmals wird Willy Brandts gedacht, des deutschen Bundeskanzlers, der dort 1970 mit seinem Kniefall in die Geschichte eingegangen ist. Auf diesem Platz empfiehlt sich ein Besuch des jüdischen Museums „Polin“: Hier werden 1.000 Jahre jüdische Geschichte in Polen auf interaktive Weise vermittelt. Für einen Rundgang mit Audioguide solltest Du mindestens zwei Stunden einplanen.

Warschauer Ghetto-Ehrenmal
Ghetto-Ehrenmal, Foto: Reise-Liebe

Grüner Łazienki-Park

Wenn Du bis zu dieser Stelle gelesen hast, erkennst Du sicher schon, dass Warschau eine Stadt voller Kontraste ist. Für Erholung von erdrückender Geschichte und Metropolen-Lärm eignet sich die grüne Lunge, der Łazienki-Park. Sonntags im Sommer erklingen dort auf der Freilichtbühne Klavierkonzerte mit Musik von Chopin. Ihm wurde im Park auch ein Denkmal gewidmet. Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist allerdings das Inselschloss, bei dem ich vor verschlossenen Türen stehe.

Lanzienki Park
Freilichtbühne im Lazienki-Park, Foto: Reise-Liebe
Inselschloss im Lazienki Park
Inselschloss im Lanzienki-Park, Foto: Reise-Liebe

Der Wilanów-Palast

Es gibt Schlimmeres – ich mache mich einfach auf den Weg zum Wilanów-Palast. Die Buslinien 116 und 180 enden ganz in der Nähe des „polnischen Versailles“, wie Wilanów auch bezeichnet wird. Unter dem blauen Frühlingshimmel leuchtet ein sonnengelbes Schloss, vor dem rosa Magnolien blühen. Schon von außen ist das zwischen 1677 und ’79 errichtete Domizil von König Jan III. Sobieski eine Augenweide.

Schloss Wilanow
Wilanów-Palast, Foto: Reise-Liebe
Wilanow-Palast
Wilanów-Palast von außen, Foto: Reise-Liebe

Innen ziehen mich die Wohnräume des Königs mit Originalmöbeln, Gemälden und Skulpturen voll in ihren Bann. Im oberen Geschoss des Schlossmuseums wartet außerdem eine Sammlung mit Kunstschätzen aus China. Im Eintrittspreis von 35 Złoty ist eine Besichtigung des Schlossparks inklusive. Allzu viel blüht dort Anfang April noch nicht – aber man kann Statuen betrachten und an der Orangerie vorbeischlendern.

Schlossmuseum Wilanow
Schlafgemach im Wilanów-Palast, Foto: Reise-Liebe

Zeit für Chopin

Wenn Du Dich für klassische Musik interessierst, solltest Du in Warschau mindestens einem Chopin-Konzert lauschen. Zuerst bin ich ein bisschen skeptisch, denn an mehreren Orten der Altstadt werden Klavierabende für Touristen organisiert. Ob man bei solchen Veranstaltungen mit hoher Qualität rechnen kann? Trotz meiner Bedenken buche ich für 60 Złoty einen Platz bei Time for Chopin und werde angenehm überrascht.

Ein junger Pianist namens Tomasz Zając beherrscht das Instrument meisterhaft und spielt die Stücke des legendären Komponisten mit gefühlvoller Brillanz. Ungefähr eine Stunde nimmt er sich dafür Zeit, zwischendurch erwartet die Gäste ein Umtrunk mit polnischem Honigwein und Apfelsaft.

Denkmal von Frederic Chopin
Chopin-Denkmal im Lazienki-Park, Foto: Reise-Liebe

Nach diesem musikalischen Hochgenuss gehe ich am nächsten Abend zum „Konzert der Diplomaten“ in der Warschauer Musik-Universität, die – wie soll es anders sein – nach Chopin benannt ist. Für nur 15 Złoty erfreue ich mich über zwei Stunden an den Darbietungen von Studierenden: von Oper über Eigenkompositionen bis hin zu einem Klavierkonzert mit großem Orchester. Ein krönender Abschluss meiner kurzen, aber intensiven Zeit in Warschau! (as)

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2 Gedanken zu „Warschau: ein Phönix aus der Asche“

  1. Am 11.10 Geht meine 2 Tägige Reise nach Warschau, reicht das um einmal auf einen Geschmack zu kommen?
    Ich dachte mir für Amsterdam haben 2 Nächte und drei Tage aufenthalt immer ausgereicht.

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