Wenn du deinen Urlaub im Süden von Dalmatien verbringst, siehst du an den Ständen der Tourenverkäufer mit Sicherheit Angebote für Tagesausflüge nach Mostar. Eigentlich organisiere ich meine Ausflüge lieber selbst. Was die Stippvisite in Bosnien-Herzegowina betrifft, ist es aber die praktikabelste Lösung, eine Tour zu buchen. Mit einem öffentlichen Bus wäre ich viel zu lange unterwegs und würde auch weder Počitelj noch die Kravice Wasserfälle zu Gesicht bekommen. Also vergleiche ich die Ausflugsangebote online, lese mir Bewertungen durch und treffe dann eine Entscheidung.
Es sei ein Kleingruppen-Ausflug für maximal acht Leute, heißt es im Internet. Nachdem mich der Minibus in der Nähe meines Apartments in Dubrovnik abgeholt und einen Hotelbunker nach dem anderen angesteuert hat, sind wir ungefähr 16 plus Fahrer und die Englisch sprechende Reiseleiterin. Es dauert ungefähr eine Dreiviertelstunde, bis wir die „Perle der Adria“ Richtung Westen verlassen. Unfreiwillig bekomme ich „gute“ Einblicke in die Bausünden der Tourismus-Konzerne.
Ein paar Stunden raus aus der EU
In der Morgendämmerung fahren wir über die Küstenstraße (Jadranska Magistrala) zur kroatisch-bosnischen Grenze in der Nähe von Ston. Zu meiner Linken erhasche ich traumhafte Ausblicke auf die Elaphiten-Inseln, die sich grün aus dem Meer erheben. Damit wir die Grenze möglichst schnell überqueren können, hat die Reiseleiterin schon beim Einstieg in den Bus alle Personalausweise und Reisepässe eingesammelt. Das ist praktisch, denn so können wir am Grenzhäuschen im Auto sitzen bleiben.
Kurz nach dem Grenzübertritt, der aus der EU hinausführt, machen wir einen Kaffee- und Toilettenstopp im Küstenort Neum. Wer in dem kleinen Laden am Parkplatz einkaufen möchte, kann dafür noch drei Währungen verwenden: die kroatische Kuna (die am 31. Dezember 2022 leider abgeschafft wird), den Euro und die bosnische Mark, die dem einstigen Umrechnungskurs Euro – D-Mark entspricht. Die Preise seien in Bosnien-Herzegowina etwa 20 Prozent niedriger als in Kroatien, sagt die Reiseleiterin. Gleichzeitig betrage die Arbeitslosenquote aber auch 40 Prozent, so dass es für die Einheimischen schwer sei, sich überhaupt irgendetwas zu leisten.
In Neum, das mir noch wie eine kroatische Enklave erscheint, biegt der Minibus ins Gebirge ab. Die Straßen sind kurvig, folglich kommen wir auf dem Weg nach Mostar nicht ganz so schnell voran. So hat man die Möglichkeit, in Ruhe Eindrücke vom Land zu sammeln. Es ist offensichtlich sehr fruchtbar: Ich sehe Mandarinen- und Granatapfelbäume und Weinberge an den karstigen Hängen.
Willkommen im Dreivölker-Staat
Anders als in Kroatien werden für Wegweiser neben lateinischen kyrillische Schriftzeichen verwendet, schließlich leben nicht nur Kroaten und Moslems in Bosnien-Herzegowina, sondern auch Serben. Weil die Animositäten des Krieges immer noch in vielen Köpfen vorherrschen, sind die kyrillischen Ortsnahmen oft mit schwarzer Graffiti-Farbe übersprüht.
Apropos Krieg: Ruinen prägen in der Herzegowina bis heute das Alltagsbild, noch mehr als in Süddalmatien. Es werden auch neue Häuser gebaut, doch häufig bleiben sie unfertig bzw. unverputzt. Damit die Einheimischen klar unterscheiden können, ob in einem Haus Kroaten oder Moslems wohnen, konstruiere man verschiedene Dächer, erzählt die Reiseleiterin. Ein Pyramidendach steht für muslimische Bewohner, ein zweiseitiges, spitz zulaufendes rotes Ziegeldach für kroatische. In Mostar werden wir noch mehr über den Krieg vor 30 Jahren erfahren – mehr als mir an so einem schönen, spätsommerlichen Tag lieb ist.
Stopp vor Mostar: Počitelj
Als erstes machen wir einen kurzen Stopp in Počitelj am Ufer der Neretva. In dem alten Städtchen mit Treppen voller Stolpersteine tummeln sich schon jede Menge Besucher, denn es gibt eine mittelalterliche Burg, eine Moschee und osmanische Häuser aus dem 18. Jahrhundert, die wie Mostar nach dem Krieg rekonstruiert wurden. Zeit hat man vor allem für eines: um „Kaschmir“-Halstücher für 5 Euro als Reisemitbringsel zu kaufen. Für den besten Blick auf die Moschee solltest du die Treppen nach oben steigen, doch dafür bleibt bei einem organisierten Ausflug wohl kaum Zeit. Genauso knapp bemessen ist der Stopp für eine Einkehr ins Restaurant.
Kravice – Krka Wasserfälle „für Arme“?
Weiter geht es zu den Kravice Wasserfällen, die auf Werbeplakaten mit türkis leuchtendem Wasser wie im Krka Nationalpark in Kroatien dargestellt werden. Die Realität sieht zwar ein bisschen anders aus, trotzdem ist diese Naturschönheit einen Besuch wert. Für 10 Euro Eintritt dürfen wir eine Stunde bleiben. Auch an den plätschernden Wasserfällen wäre ich gerne länger, allerdings dauert die Hin- und Rückfahrt eine gefühlte Ewigkeit. Sprich: Bei einem Tagesausflug von Kroatien nach Mostar verbringt man mehrere Stunden im Auto. Zum Baden an den Wasserfällen reicht die Zeit also nicht, doch ich würde es ohnehin nicht empfehlen. Erstens ist das Wasser zu kalt, zweitens an ein paar Stellen schmutzig. Lohnenswert wäre aber sicher eine Tour im Ruderboot, die man im Park extra buchen kann.
Stadtführung in Mostar
In Mostar erwartet uns eine einstündige Stadtführung, bei der wir viel von den aktuellen sozialen und politischen Problemen in Bosnien-Herzegowina und der Kriegszerstörung in den 90er Jahren erfahren. Die Stadtführerin ist der Ansicht, dass westliche Mächte die Aggressoren unterstützt hätten, um das wirtschaftlich mächtige Jugoslawien zu zerschlagen. Ich werde dies nicht weiter kommentieren, du darfst dir aber gerne deine eigene Meinung bilden …
Seit dem Ende des Krieges sei das Land tief gespalten: Jede Volksgruppe habe einen eigenen Präsidenten und wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft liege die Wirtschaft am Boden. Dass die Menschen in Mostar verzweifelt auf die Touristen aus Kroatien angewiesen sind, sieht man an der Dichte der Souvenirläden in der wiederaufgebauten Altstadt, die mich an einen türkischen Basar erinnert. Und es kommen wirklich Massen, um sich zwei bis drei Stunden durch die Gassen zu schieben.
In einem Stadtmuseum sehen wir eine erschütternde kurze Doku über die Zerstörung der berühmten Brücke von Mostar am 8. und 9. November 1993. Hinter mir weint eine Frau bittere Tränen und ich denke unweigerlich an den Kroaten G. aus Berlin, dem die Flucht nach Deutschland und die damit verbundenen Kriegstraumata vermutlich ein handfestes Borderline-Syndrom beschert haben. Ihm gilt in diesem bedrückenden Moment mein Mitgefühl. Die Kriegsruinen, die immer noch zum Stadtbild gehören, stehen in seiner Innenwelt.
Wiederaufbau der Brücke
Stari Most – die alte Brücke – ist das Wahrzeichen von Mostar. Bogenförmig zieht sie sich über die Neretva. Das Original wurde zwischen 1556 und 1566 von dem osmanischen Architekten Mimar Hayreddin erbaut, den Auftrag hatte ihm Sultan Süleyman I. erteilt. Schon im sozialistischen Jugoslawien galt das architektonische Kunstwerk als Touristenattraktionen.
Laut Meinung der Anklage des Internationalen Strafgerichts für das ehemalige Jugoslawien habe der kroatische Verteidigungsrat die Brücke gezielt durch Dauerbeschuss zum Einsturz gebracht. Im Mai 2013 wurden sechs Verantwortliche zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Wiederbau begann 1995 mit Unterstützung der UNESCO, der Türkei und der Weltbank. Kosten: rund 15 Millionen Euro. Am 23. Juli 2004 wurde die Brücke von Mostar offiziell wiedereröffnet und ein Jahr später in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. Außerdem ist sie ein geschütztes Kulturgut der Haager Konvention.
Brückenspringer von Mostar
Junge einheimische Männer pflegen eine alte Tradition, aus 20 Meter Höhe von der Brücke in den Fluss zu springen – heutzutage hauptsächlich als touristische Einnahmequelle. Um zu springen, müsse man wirklich geübt sein, erzählt die Stadtführerin. Schon einige Wagemutige hätten sich Knochenbrüche eingehandelt oder seien bei dem Abenteuer tödlich verunglückt. Während ich durch Mostar spaziere sehe ich keinen einzigen Brückenspringer.
Besuch in der Moschee
Stattdessen erlebe ich auf dem Minarett der Moschee den wohl besten Blick auf das Bauwerk. Für sieben Euro Eintritt dürfen sogar Frauen das islamische Gotteshaus betreten. Falls du das auch planst, solltest du frei von klaustrophobischen Anfällen sein. Auf der Wendeltreppe im Turm wird es sehr eng und üblicherweise drängen sich für die fantastische Aussicht Menschenmassen nach oben. Beim Aufstieg habe ich die Treppe noch für mich alleine, aber der Abstieg entpuppt sich als Herausforderung …
Fleischige Küche in Mostar
Wer in Mostar essen gehen möchte, sollte wissen, dass die lokale Küche absolut fleischig ist. Auf den Speisekarten der Restaurants stehen Čevapi und Pljeskavica. Vegetarier haben es schwer, passende Gerichte zu finden. Weil ich es schon geahnt habe, mache ich Picknick mit Couscous-Salat und Falafel – passend zu dem osmanischen Flair, das in Mostar auf kroatische Kultur trifft. Während Frauen mit Kopftüchern Andenken verkaufen, beobachte ich eine ausgelassen feiernde Hochzeitsgesellschaft, die rotweiß karierte Fahnen schwingt.
Kroatien trifft auf Türkei, Mostar ist ein Musterbeispiel für Gegensätze. Noch nie habe ich so viele wahrgenommen wie hier. Im Außen! Die meisten dürften in den Köpfen der Menschen herumgeistern. (as)
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Hallo Annika,
ich kenne Mostar und die Region leider nur aus einer anderen Zeit, kurz nach dem Bürgerkrieg. Umso schöner zu lesen und zu sehen, wie schön es doch jetzt wieder ist! Klasse! Danke für den Beitrag und die Bilder.
Herzliche Grüße, Jörg