Was habe ich im Sommer 2020 manchmal geflucht, wenn ich auf dem Eurovelo 10 an der polnischen Ostseeküste auf sandige Pisten geraten bin! Im Nachhinein eine meiner schönsten Radreisen mit einer passablen Infrastruktur für diejenigen, die sich beispielsweise in Swinemünde auf den Weg durch Pommern begeben. Als größeres Abenteuer mit allerhand Hindernissen entpuppt sich meine Lettland Radreise im Juni 2025.
Nach einem entspannten Tour-Start in Litauen werde ich mit sandigen Schotterstraßen, Schlaglöchern, gefährlichem Verkehr, Einöde und einem Mangel an Ausschilderungen, Pausenplätzen und zwischenmenschlichen Kontakten konfrontiert. Das alles auf dem Eurovelo 10 bzw. 13, der als „Ostseeküstenradweg“ im mittleren der drei baltischen Staaten nur noch eine Farce ist.
Fakten über den Eurovelo 10 & 13
Laut Angaben auf der offiziellen Website der Fahrradstrecke ist der Eurovelo 10 in Lettland rund 680 Kilometer lang. Dort heißt es außerdem: „In einigen Teilen ist der Untergrund fest und glatt genug, um komfortabel direkt am Meer entlang zu radeln.“
In der Formulierung „in einigen Teilen“ steckt bereits die Katastrophe, die sich während meiner Radreise durch Lettland offenbaren soll. Die tatsächlichen Zustände verschweigt die Seite jedoch. Stattdessen werden „idyllische ländliche Gegenden“, „malerische Altstädte“ und Höhepunkte wie die Hauptstadt Riga oder das Ostseebad Jurmala erwähnt – leider nur die Hälfte der Wahrheit.
In weiten Teilen sind der Eurovelo 10 und 13 in puncto Streckenführung und Mängel identisch. Letzterer ist der sogenannte Iron Curtain Trail, der näher an der Ostseeküste verläuft. Dagegen macht der Eurovelo 10 dreimal Abstecher ins Landesinnere. Meist folge ich auf meiner Lettland Radreise dem Eurovelo 10.
Dürftige Ausschilderung der Radstrecken
Während die Ausschilderung des Fernradwegs in Litauen vorbildlich ist, entdecke ich nach dem Überqueren der Grenze zu Lettland kaum noch Wegweiser bei Überlandfahrten. Lediglich in Städten wie Liepaja und Ventspils fallen mir vereinzelte Schilder für Radreisende ins Auge.
Nachdem ich mich kurz vor dem Grenzübertritt auf sandigen Waldwegen verfahren habe, werfe ich vor jeder Etappe der Lettland Radreise einen Blick auf die Karte. Dabei steht es dir frei, ob du dich online informierst oder eine Landkarte aus Papier als Hilfsmittel verwendest. Ich orientiere mich an der Streckenführung auf der Eurovelo-Website.
Lettland Radreise ohne Fahrradstraßen

Wer verkehrsberuhigte Fahrradstraßen wie auf dem litauischen Ostseeküstenradweg oder im Spreewald erwartet, radelt bereits vor dem Tour-Start auf dem Holzweg. Sämtliche Straßen teilen sich Radreisende mit Kraftfahrzeugen, sogar die schlecht ausgebauten Schotterwege.
Mitten auf dem dünn besiedelten Land gibt es zwar einsame Wege mit wenigen motorisierten Vehikeln, doch sobald der Eurovelo auf die sogenannte Via Baltica führt, schieben sich LKW-Kolonnen erschreckend nah am Fahrrad vorbei. Gefühlt ist manchmal kaum ein Meter Abstand zwischen mir und solch einem mächtigen Truck. Derweil brettern auch rasante Motorräder an mir vorbei, während sich Autofahrer rücksichtslose Überholmanöver leisten.
In manchen dieser lebensgefährlichen Momente schreie ich mir eine Mischung aus Angst, Ärger und Frustrationen aus der Kehle. Am schlimmsten ist dieser Zustand auf der letzten Lettland-Etappe zwischen Saulkrasti und Ainaži: Heiser komme ich an der Grenze zu Estland an – nach einem fliegenden Wechsel zwischen der Via Baltica und Schotterpisten in unmittelbarer Küstennähe.
Mein Debüt auf einer Piste mit tiefem Sand und Kies „feiere“ ich auf der zweiten Etappe der Lettland Radreise. Die Asphaltstraße, die mich aus Liepaja heraus leitet, mündet plötzlich in einen Schotterweg. Solche Vorkommnisse sind in meinem Reiseland gang und gäbe. Es handelt sich nicht etwa um Feldwege für landwirtschaftlichen Verkehr, sondern um reguläre Landstraßen, die in Lettland als Fernradwege gelten.
Auf dem Weg von Liepaja nach Pavilosta reißt es mich vom Sattel, weil mein Fahrrad in einer Woge aus rutschigem Sand zur Seite kippt. Glück im Unglück: Verletzungen und weitere Stürze auf der langen Baltikum Route nach Tallinn bleiben mir erspart. Stattdessen schlittere ich von einem mentalen Alptraum in den nächsten. Wegen der Straßenverhältnisse empfinde ich es oft als sicherer, mein Fahrrad samt Gepäck zu schieben. Einmal „rettet“ mich dabei ein vorbeifahrender Schornsteinfeger und nimmt mich ein paar Kilometer mit seinem Dienstfahrzeug mit.
Fehlende Infrastruktur für Radreisende
Beim Radfahren in Lettland stelle ich außerdem fest, dass auf den Strecken attraktive Pausenplätze fehlen. Picknicktische und -bänke? Fehlanzeige! Cafés und Restaurants? Raritäten! Stattdessen treffe ich alle paar hundert Meter auf Bushaltestellen in der Mitte von Nirgendwo. Wenn ich Glück habe, finde ich an solchen Stopps eine Bank mit Überdachung.
Was Essen und Trinken betrifft, bedeutet dies, dass ich mir vor jeder Etappe der Lettland Radreise Verpflegung einpacke. Mehrere Male trete ich zig Kilometer in die Pedale, ohne dabei Ortschaften zu durchqueren. Besonders extrem ist dieser Zustand zwischen Ventspils und dem Kap Kolka: Bei strömendem Regen lotst mich die Straße 80 Kilometer durch Wald. Den Ravioli-Salat, den ich mir in der Ferienwohnung in Ventspils zubereitet habe, verspeise ich stehend am Straßenrand. 80 Kilometer ohne eine einzige Bank. Erst in Kolka bekomme ich die Möglichkeit, in ein Café einzukehren – völlig durchnässt und mit blank liegenden Nerven.

Lettland Radreise mit Zug-Etappen?

Häufig wünsche ich mir sehnlichst, die Hürden und Hindernisse auf meiner Radreise durch Lettland mit der Bahn zu umgehen. Zwischen den einzelnen Etappenzielen auf dem Eurovelo 10 bzw. 13 verkehren jedoch keine Züge – außer im Großraum Riga.
Der erste für die Weiterfahrt mögliche Bahnhof befindet sich in der Stadt Tukums. Mein Navi lotst mich für die Abfahrt der Bahn nach Riga zum Bahnhof Tukums 2, der im Juni 2025 eine verbarrikadierte Baustelle ist. Da ich keine Ahnung habe, wie ich ans Gleis gelange, frage ich einen Einheimischen und stoße wie so oft in Lettland auf Verständigungsschwierigkeiten.
Mit Händen und Füßen mache ich mich halbwegs verständlich und schaffe es zu einer provisorischen Gleisanlage aus Brettern ohne Sitzgelegenheiten. Glücklicherweise fährt der Zug pünktlich ab – zu einem günstigen Preis von nur 3,90 Euro inklusive Fahrrad (Stand: Juni 2025).
Auch nach Saulkrasti nutze ich die Bahn, um den Stadtverkehr in Riga zu vermeiden. Radwege sind in der Hauptstadt kaum vorhanden – stattdessen zahlreiche Straßenbahnschienen, Schlaglöcher und jede Menge Verkehr. Wer sich trotzdem aufs Fahrrad wagt, quetscht sich auf Bürgersteigen an Fußgängern vorbei. In Lettland ist dies Normalität.
Obwohl ich mich in der Abgeschiedenheit der ländlichen Gegenden mit schweren existentiellen Fragen herumquäle, will ich noch leben und lasse das Rad während meiner Ruhetage in Riga in der Unterkunft stehen. Erst bei meiner Abreise schlägt mir das nächste Ärgernis entgegen: Am Hauptbahnhof von Riga gibt es keine Aufzüge, von einem barrierefreien Ein- und Ausstieg ganz zu schweigen. Mein Kettenschutz geht beim Umsteigen an der Zentralstation zu Bruch …
Lohnenswerte Etappenziele in Lettland
Obwohl sich die Lettland Radreise für mich wie ein Spießrutenlauf unter düsteren Wolken anfühlt, blicke ich auch auf positive Momente zurück. An folgenden Etappenzielen lohnt es sich, länger als einen Tag zu bleiben:
Liepaja
Die Hafenstadt Liepaja, die früher den deutschen Namen Libau trug, ist mein erster Boxenstopp auf lettischem Boden. Dank einer Kooperation mit dem lokalen Tourismusverband mache ich einen intensiven Streifzug durch die Natur, Geschichte und Kulinarik dieses Etappenziels. Meine Erlebnisse habe ich in einem ausführlichen Blogartikel über Liepaja dokumentiert.
Kuldiga
Nach dem Stopp in Pavilosta macht der Eurovelo 10 den ersten „Knick“ ins Landesinnere. Der Weg nach Kuldiga ist zwar hügelig, aber die Straße glatt asphaltiert. Sie bringt mich in eine pittoreske Altstadt, die 2023 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde. Umgeben ist dieses Kleinod von sattem Grün und den Stromschnellen des Flusses Venta. Hier plätschert der Wasserfall Ventas rumba, der als breitester Wasserfall Europas (bis zu 275 Meter) gilt. In Kuldiga atme ich tief durch und lasse beim Bummeln die Seele baumeln.

Ventspils
Knapp 60 Kilometer strampele ich von Kuldiga zurück an die Ostseeküste zu meinem nächsten Etappenziel Ventspils – früher Windau. Knapp 60 Kilometer fast ohne Dörfer auf dem Weg. Am Ende dieser Strecke bin ich dankbar, endlich wieder eine etwas größere Stadt zu besuchen. Eine Stadt mit einem super breiten Sandstrand und einem Fährhafen, wo Schiffe nach Nynäshamn bei Stockholm in See stechen und die Venta in die Ostsee mündet.
Ventspils ist die einzige Stadt auf meiner Lettland Radreise, in der ich mich auf richtigen Radwegen fortbewege. Zudem besticht sie durch wunderschöne gepflegte Parks und eine gut erhaltene Altstadt. Das älteste existierende Bauwerk ist das Schloss des Livländischen Ordens.
Jurmala
Im altehrwürdigen Ostseebad Jurmala mache ich „Urlaub“ von meinem Fahrrad. Der Zug aus Riga stoppt in dem beliebten Ferienort an mehreren Stationen in Strandnähe. Am Wasser, auf der mondänen Flaniermeile mit nostalgischen Holzvillen und dem Duft von Kiefern in der Nase macht es Spaß, spazieren zu gehen und Kaffee und Kuchen zu genießen. Obwohl ich bei diesem Ausflug nicht radele, ist Jurmala eines der Highlights meiner Lettland Radreise.

Riga
Auch in Riga verbringe ich einen Tag. Zum ersten Mal zeigt mir Lettlands Hauptstadt ihr sommerliches Gesicht. Während meines längeren Winteraufenthalts habe ich zwischen Jugendstil, Marktbesuchen und beeindruckenden Museen vor Kälte gezittert, jetzt schlendere ich durch blühende Parks und gönne mir zwei eisgekühlte Cocktails als Belohnung für die Strapazen meiner Reise.

Saulkrasti

Saulkrasti ist die Art von Küstenort, den ich in meinen romantischen Vorstellungen von dieser Lettland Radreise visualisiert habe – schon lange vor der Abreise. Hinter dem feinen Sandstrand liegt ein Kiefernwald, wo ein wohliger Duft meine Nasenlöcher betört. Egal ob man Fahrrad fährt oder einen Spaziergang an der bewaldeten Promenade macht, in Saulkrasti ist es leicht, sich zu erholen. Auf einer Parkbank im Schatten der Bäume packe ich meine Ukulele aus und singe von einer Radreise durchs Baltikum, die in der erträumten Weise nie stattgefunden hat.
Schlimm, schlimmer, Lettland Radreise
Was ich in Lettland erfahre, ist die herausforderndste Radtour meines Lebens. Würde ich noch einmal aufbrechen oder diese Fahrradreise weiterempfehlen? Nur wenn man mich fürstlich dafür bezahlt! Ich bin eine bekennende Genussradlerin, die sich in lauschiger Natur auf Radwegen fernab der motorisierten Fahrzeuge am wohlsten fühlt. In einer grünen Szenerie zwischen Wald und Meer kann ich stundenlang meinen Gedanken nachhängen, ohne den leisesten Anflug von Einsamkeit zu spüren.
Während der Lettland Radreise komme ich mir allerdings ganz schön verloren vor. Zwischen miserablen Straßen, fehlender Infrastruktur, herbstlichen Temperaturen, Regen und Verständigungsbarrieren empfinde ich Psychoterror pur. Irgendwann habe ich sogar den Eindruck, einer dunklen Macht ausgeliefert zu sein. Andere Radreisende begegnen mir höchst selten.
Ja, für mich ist der lettische Ostseeküstenradweg ein Horror-Trip! Trotzdem kann es sein, dass du eine ganz andere Radreise durch Lettland erlebst, falls du nach meinen Schilderungen überhaupt noch Lust dazu hast. Wenn du tatsächlich losfährst, dann mach es am besten in liebevoller Gesellschaft. Für mich geht es auf Solopfaden weiter nach Estland, wo weitere Prüfungen auf mich warten … (as)
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