Auf YouTube kursieren zahlreiche Videos über den österreichischen Nachtzug ÖBB Nightjet, der über 25 europäische Metropolen ansteuert und die Strecke von München nach Zagreb bedient. In diesen Werbefilmen betonen die Reisereporter vor allem das nachhaltige Reisen und den damit verbundenen Komfort.
Die Realität sieht leider anders aus, und deshalb präsentiert dieser Blogartikel meine ungeschönte subjektive Wahrnehmung ohne den glitzernden Feenstaub von Werbung.
Kostspielige Schlafwagen im ÖBB Nightjet
Als fahrende Lebenskünstlerin habe ich immer einen ganzen Batzen Gepäck bei mir – mein Koffer, meine Gitarre, mein Rucksack, alles muss mit. Wenn möglich, verzichte ich deshalb aufs Fliegen, und umweltfreundliches Reisen begrüße ich natürlich auch.
Nachdem ich gute Erfahrungen mit Nachtzügen in Finnland gemacht habe (wenn auch mit leichtem Schlaf), will ich endlich den ÖBB Nightjet ausprobieren und ein Schlafwagenabteil buchen. Von den Strapazen der Flixbus-Reisen nach Kroatien habe ich nämlich die Nase voll.
Doch was sehen meine trüben Augen da auf dem Monitor? Ein privates Schlafwagenabteil soll von München nach Zagreb über 300 Euro kosten. Wäre ich bereit, es mit zwei oder drei anderen Fahrgästen zu teilen, würden für die Zugreise knapp 150 Euro fällig. Für Familien, Freunde und Paare bestimmt eine angenehme Option.
Betrachten wir das Nachtzugreisen mal im Vergleich: Kurz vorher zahle ich bei der finnischen Bahn für mich und mein Fahrrad auf der wesentlich längeren Strecke von Rovaniemi nach Turku 94 Euro und übernachte zu diesem Preis in einem privaten Schlafwagenabteil.
Nach dem Vergleich aller Varianten bei der ÖBB entscheide ich mich zähneknirschend für einen Platz im Sitzwagen für günstige 44 Euro, denn das Teilen einer engen Schlafwagenkabine mit Unbekannten rechtfertigt für mich keinen Preisunterschied von über 100 Euro. Immerhin lassen sich Plätze in Sitzwagen für Nachtreisen aufklappen, so dass man die Beine lang ausstrecken kann. Das ist zumindest vor der Fahrt meine Vorstellung …
Liegewagen als Alternative?
Zwischen dem Schlafwagen und dem Sitzwagen gibt es im ÖBB Nightjet nach Kroatien noch eine dritte Option: den Liegewagen. In diesen Abteilen sind vier oder sechs Liegen mit Bettwäsche in zwei Etagen übereinandergestapelt. Ein Frühstück ist wie im Schlafwagen inklusive, und der Preis beläuft sich auf rund 100 Euro.
Die ÖBB preist diese Variante vor allem für Familien an. Und tatsächlich, auf Fotos wirken die Liegewagen-Abteile so knapp bemessen, dass man sich schon ziemlich vertraut sein sollte – nach meinem Empfinden. Mein Empfinden sagt mir ebenfalls, dass Alleinreisende mit dem Wunsch nach Privatsphäre im ÖBB Nightjet ordentlich abgezockt werden.

Unbequeme Nacht im Sitzwagen
Nach den üblichen Verspätungstiraden der Deutschen Bahn bin ich froh, dass der Nachtzug nach Zagreb am Bahnhof München-Ost schon am Gleis steht und ich in aller Ruhe zu meinem reservierten Platz gehen kann. Als ich ihn erreiche, traue ich meinen Augen kaum. Der Komfort des Sitzwagens befindet sich gefühlt auf dem Stand von 1980.
Es handelt sich um ein Sechser-Abteil mit dürftigen Gepäckablagen über den steinharten Sitzen, die sich wider Erwarten nicht verstellen lassen. Als ich es endlich mit Hilfe der Schaffnerin geschafft habe, meinen schweren Koffer in die Höhe zu hieven, ist bereits die Hälfte der gesamten Ablage belegt. Was, wenn weitere Passagiere mit so viel Gepäck kommen?
Bis zum Salzburger Hauptbahnhof, wo der Zug einen längeren Aufenthalt hat, habe ich das Abteil für mich alleine. Für mehr Bequemlichkeit sorge ich mit einem Reisekissen und einer weichen Fleecedecke. Ich ziehe die Schuhe aus und strecke mich auf drei Sitzen aus – sehr zum Ärger meines Rückens, aber immerhin.
In Salzburg gesellt sich ein amerikanisches Paar zu mir ins Abteil. Todmüde quäle ich mich zurück in die Sitzposition. Als ich feststelle, dass die beiden sich gar nicht ausstrecken wollen, lege ich mich wieder hin. Weil ich seltsam lebhafte Träume habe, schließe ich daraus, ab und zu ein bisschen zu schlafen
Auf dem Gang leuchtet aber ein grelles Licht, Vorhänge an der Abteiltür zur Verdunkelung gibt es nicht. Auch die Laternen auf den zahlreichen Bahnhöfen unterwegs stören den Schlaf gewaltig. Die Aufenthalte dort sind oft lang, weil immer wieder Wagen wie beispielsweise nach Venedig abgekoppelt und neue Lokomotiven angekoppelt werden.
In einem benachbarten Abteil heißt es für eine Männergruppe „Hoch die Tassen“. Anscheinend fließt der Alkohol in Strömen, was man auf dem Gang und dem WC riecht. Was den Hygienezustand von letzterem betrifft, erspare ich euch die Details. Völlig gerädert komme ich nach dieser Horrornacht am Glavni Kolodvor in Zagreb an. Eines kann man dem ÖBB Nightjet dabei zugute halten: Er ist fast pünktlich am Ziel.
ÖBB Nightjet häufig kritisiert
Trotzdem ist dies meine erste und letzte Kroatien-Reise mit dem Nachtzug der österreichischen Bahn. Um umweltfreundliches Reisen auf der Schiene über Nacht attraktiver zu gestalten, sollte sich die ÖBB zum Beispiel vom Komfort der Nachtzüge in Finnland inspirieren lassen und die Preise für Schlafwagenabteile ähnlich ansprechend gestalten – auch für Alleinreisende.
Aktuell scheint das aber europaweit noch nicht der Fall zu sein. Auf vertrauenswürdigen Websites wie Trustpilot häufen sich niederschmetternde Kritiken am ÖBB Nightjet, so dass meine Erfahrungen auf dem Weg nach Kroatien keine Ausnahme bilden. (as)
